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"Twin Peaks" von Lynch/Frost Productions

Lieber Mark, lieber David,


euer Mysterium hat eine ganze Generation an Fernseh-Zuschauern bewegt, und ich fühle mich geehrt, ein Teil davon gewesen zu sein. Meine Leidenschaft und Faszination für euer Werk wird nicht verblassen.

Wo soll ich bloß anfangen? Bei den Bildern vielleicht, die für eine TV-Serie viel zu künstlerisch sind, der ungewöhnlichen Geschichte oder der atmosphärischen Musik, dem perfekten Cast? Und wo soll ich dann enden? Beim vielleicht besten offenen Ende aller Zeiten, das ihr dann viele Jahre später doch aufgelöst habt? Oder beim Kinofilm, der mehr Fragen aufwarf als beantwortete? Soll ich auf die wissenschaftliche Sekundärliteratur eingehen, die beweist, wie wichtig „Twin Peaks“ auch jenseits der Popkultur ist?

Am liebsten würde ich ganze Bücher über eure Serie schreiben. Einfach nur für mich, um mich während des Schreibens ein weiteres Mal in dieser Stadt zu bewegen. Ich möchte über die Figuren schreiben, die ihr erschaffen habt, und die Verwicklungen, die sie mit sich bringen.

Die Welt von „Twin Peaks“ ist so reichhaltig und lebendig wie der reale Kosmos einer Kleinstadt. Wovon manche immer behaupten, sie entdeckten dies in Literatur und anderen Serien, diese tiefe Verbundenheit zu den Figuren. Und auch ich mag in meinem Leben anderen fiktiven Gestalten begegnet sein, die mir so nahe kamen wie echte Freunde, Verwandte, Geliebte.

 

Doch niemand Fiktives war und ist mir in meinem Leben näher als euer FBI-Ermittler Dale B. Cooper.

 

Sein Ehrenkodex ist mir bis heute ein moralischer Kompass, seine Ermittlungsmethoden das Unterhaltsamste, dem ich je beiwohnen durfte, und seine Aufgeschlossenheit von selten vorbildhaftem Charakter. Dankt bitte Kyle herzlich für seine Darstellung der Figur.


Aber es sind auch alle anderen Menschen in „Twin Peaks“, die mir sogleich vertraut wurden. Obwohl einige von ihnen in Rätseln sprechen, die sie gar nicht lösen wollen.

 

Ich erinnere mich noch genau an meine erste Begegnung mit eurer fiktiven Stadt (oder es mag der Mandela-Effekt sein, wenn ich das behaupte, aber das ist mir gleich). Es war 1991 und mehr durch Zufall landete ich zur richtigen Zeit auf dem richtigen Fernsehkanal (es war RTLplus).

 

Ein langhaariger, furchteinflößender Mann lauert hinter einem Bett.

Eine Frau schreit um ihr Leben, als sie ihn erblickt.

Für alle anderen im Raum bleibt der Mann unsichtbar.

 

Ehrlich gesagt, ich verstand nicht auf Anhieb, was ich dort sah, und auch dann, wenn ich in der Zeit der ersten Ausstrahlung von „Twin Peaks“ (zwischen September 1991 und Februar 1992) wieder recht zufällig einschaltete, blieb mir der Sinn einiger Dialoge und Handlungen verschlossen. Ich sah immer nur einzelne Puzzleteile, ohne das Bild zu erkennen.

 

Es war mir aber danach nicht mehr möglich, das Gesehene zu vergessen. Die Bilder und die Gefühle, die sie auslösten, hatten sich für immer eingeprägt. Von da an lauerte ich auf eine Wiederholung aller Folgen, die ich Ausstrahlung für Ausstrahlung auf VHS-Kassetten bannte und dann wieder und wieder anschaute.



Dein Kinofilm, David, den du nicht viel später gedreht hast, und der einen Teil der Vorgeschichte der Serie erzählt, ist ein unvergleichbar süßlich-tödlicher Albtraum, eine perfekte Ergänzung zum Mysterium. Er diente mir auch als Einstieg in deinen eigenen Film-Kosmos, dessen Höhepunkt „Lost Highway“ noch heute zu meinen absoluten Lieblingsfilmen zählt.

 

Wie oft ich die ersten zwei Staffeln von „Twin Peaks“ angeschaut habe, weiß ich gar nicht. Sicher ist, keine Serie habe ich in ihrer Gänze öfter gesehen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.

 

Denn, lieber Mark und lieber David, ihr habt es wirklich gewagt, nach einem Vierteljahrhundert euren Kult fortzusetzen. 


Nein, mehr noch, ihr habt eurer eigenen Serie ein Denkmal gesetzt, das zwar nicht nötig gewesen war, aber das sich wie das letzte Puzzleteil ins Gesamtwerk fügte, als wäre es schon immer da gewesen. Das liegt auch an dem Cast, von dem so gut wie alle Darsteller der Original-Serie wieder in ihren bekannten und geliebten Rollen auftraten. Gemeinsam mit einer Riege neuer Figuren und erweiterten Schauplätzen erreichte der "Twin Peaks"-Kosmos neue Dimensionen, im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Ihr habt es geschafft, viele offene Fragen zu beantworten und dabei gleichzeitig noch mysteriöser zu werden als zuvor. Mit der dritten Staffel von „Twin Peaks“ habt ihr meine alte Leidenschaft noch einmal neu entfacht. Dafür und für alles, was ich gerade erzählt habe, möchte ich euch beiden, aber auch Angelo, der Crew und den Schauspielern, ja, allen Beteiligten aus den Tiefen meiner Seele danken. Ihr habt mit „Twin Peaks“ etwas vollkommen Einzigartiges erschaffen.

Ich hoffe, ich bin eurer Serie und was sie für mich bedeutet mit dem heutigen Text wenigstens annähernd gerecht geworden. Denn ich weiß, manchmal reichen Worte nicht aus. Und es ist schließlich so, je wichtiger einem etwas ist, desto größer ist auch die Angst zu versagen. Ich wollte es wenigstens versuchen.

Jetzt ziehe ich erstmal in das Zimmer 315 im Great Northern Hotel ein, danach wechsle ich für einen verdammt guten Kaffee und Kirschkuchen ins Double R-Diner, und ich hoffe, dass mich dabei niemand mit den Worten anspricht: „Feuer, zieh mit mir!“


*Der Sonntag gehört meinen Lieblingswerken aus den Bereichen Film, Literatur, Musik, Malerei und Games.*

 

Notiz: Ich habe keine Rechte an den Fotos, außer von den zwei Sammelboxen. Die Boxen gehören uns. M. bedeutet diese Serie mindestens genauso viel wie mir.

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