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"Türkisches Café I" von August Macke

Lieber August,

mir war nicht bewusst, dass Farben leben, bis ich deine Kunst erblickte.

Ich glaube, jeder kennt einen Moment des Erwachens, wenn etwas zuvor Kryptisches plötzlich Sinn ergibt. Wie Menschen sich vor gemalte Bilder stellen konnten und darin etwas anderes erblicken als ein Bild, war mir immer ein Rätsel.

Anfang der 2000er aber, während ich mich mal wieder selbst eher kläglich am Zeichnen versuchte, entdeckte ich in einem Kunstband „Türkisches Café I“ und anderes von dir.

Expressionismus schien mir bis dahin sogar die primitivste, weil recht kindlich anzusehende Malerei, als wüsste der Künstler nicht, was er da tut und klatscht nur Farben auf das Papier in der Hoffnung, es möge am Ende ganz gut aussehen.

Durch deine Kunst begriff ich, dass Expressionismus nichts anderes und viel mehr ist als eine eigene Interpretation der Wirklichkeit, in der Farben wie Worte dazu dienen, Geschichten zu erzählen, von der Umgebung, den Gegenständen und den Personen, die darauf abgebildet sind.

Dilettantisch fertigte ich eine Kopie deines Kunstwerks an, mit Buntstiften. Es ist eine Arbeit, die mir heute fast peinlich ist. Doch erst in der Imitation, dem Nachspüren in deiner Farbgebung und der Komposition fand ich die Sorgfalt, die in deinen Bildern liegt.

Alles in „Türkisches Café I“ erscheint seltsam unfertig. Selbst das gelb-rote Dach scheint aus Einzelheiten zu bestehen, die beim kleinsten Wind auseinander wehen werden. Der Stuhl steht nicht vor dem Türeingang, sondern seine Lehne durchbricht den grünen Rahmen. Und die Schatten, in denen der einzige Mensch sitzt, wirken grau in grau eingearbeitet. Der Hintergrund ist spartanisch, der Vordergrund auch. Und vom Baum gar nicht zu sprechen, dessen Stamm Braun in Braun scheint, mehr nicht.

Es liegt am Betrachter, sich aus diesen Farben zu erheben und eine Welt zu erschaffen, die er wieder erkennt, zumindest, die seiner gleicht. Ich weiß, lieber August, du bist längst nicht der einzige Vertreter deiner Kunst-Richtung, aber du bist derjenige, der mir nicht nur aufgefallen ist, sondern derjenige, der zu mir gesprochen hat.

Wenn man sich lange genug auf dieses Bild, auf jedes Bild von dir, einlässt, erzählt man sich selbst plötzlich eine Geschichte. So könnte ich es stundenlang betrachten. Anders als beim Starren aus dem Fenster, wenn meine eigenen Geschichten die Oberhand gewinnen, wirkt dann eine fremde Macht auf mich ein, der ich mich aber gerne hingebe.

Ich könnte noch von deinem Bild „Rotes Haus im Park“ sprechen, von dem ich ein Kunstdruck über Jahre hinweg an meiner Wand hängen hatte und das mir schon so viele Geschichten erzählt hat. Oder ich könnte von der Grünheit schwärmen, die ich in „Sonniger Weg“ und „Dame in grüner Jacke“ fand. Und so vieles andere mehr. Aber es war „Türkisches Café I“, mit dem alles seinen Anfang nahm. Und darum wird es immer einen speziellen Platz in meinem Herzen tragen.

Lieber August, du hast also nicht nur meine Augen für die Malerei geöffnet, du hast mir eine komplett neue Sichtweise offenbart. Und dafür werde ich dir auf immer verbunden bleiben.

 

*Der Sonntag gehört meinen Lieblingswerken aus den Bereichen Film, Literatur, Musik, Malerei und Games.*

Notiz: Ich habe keine Rechte an den Fotos von "Türkisches Café I" und "Rotes Haus im Park". Ich fand sie, wie eigentlich immer in so einem Fall, in den Tiefen des Internets.


In diesem Video stellt jemand stolze 105 Werke von August Macke vor. Einen besseren Überblick über sein Schaffen findet man in dieser Dichte selten.

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