"Carrie" von Stephen King

Lieber Stephen,

dieses Jahr feiert dein erster, veröffentlichter Roman "Carrie" sein 50. Jubiläum. Was diese Veröffentlichung für dich bedeuten sollte und was du danach alles bewirken würdest, ist beispiellos.

Es war vor zwei Tagen und fünfzig Jahren, am 5. April 1974, dass "Carrie" in den USA in gebundener Ausgabe erschienen ist. Und es sollte nicht lange dauern, bis die Filmrechte verkauft wurden und Brian De Palma daraus einen Film kreierte, der sowohl an den Kinokassen als auch die Kritiker überzeugte.

Mag sein, dass dieser frühe Erfolg zu der stattlichen Summe von 200.000 Dollar führte, für die die Taschenbuch-Rechte des Romans schließlich verkauft wurden. Jedenfalls sorgte "Carrie" für dich und deine Familie, befreite euch bald von allen Geldsorgen. Wie gut also, dass deine Frau Tabitha die ersten Seiten des Manuskripts damals aus dem Papierkorb gefischt hatte und dich davon überzeugte, die Geschichte weiterzuschreiben. Sie würde dir dabei helfen. Jeder kennt diese Anekdote.

Das ist aber nur die eine Seite der Geschichte, lieber Stephen. Die andere gehört uns Lesern.

Die Figur der Carrie White, ob in dem Buch oder dargestellt von Sissy Spacek im Film, ist nur eine von vielen anderen Figuren, die in ihrer psychologischen Tiefe und als echt empfundenen Tragik nicht nur von uns Lesern lieb gewonnen wurden. Sie sind zu Symbolen unserer Kultur geworden. Menschen, die durch ihr Anderssein von ihrem Umfeld verurteilt werden und sich deshalb als vom Schicksal verflucht betrachten. Lieber Stephen, du hast bereits in deinem ersten Roman den Außenseitern eine Stimme gegeben.

Das ist natürlich nur ein Grund, warum deine Bücher auch heute noch so zahlreich gelesen werden und alle weiterhin nachgedruckt werden, weil auch Folge-Generationen von deinen Geschichten fasziniert sind. (Den Roman "Amok" lassen wir einmal beiseite. Es gibt ja gute Gründe, warum du ihn nicht mehr nachdrucken lässt.)

"Carrie" ist ein zeitloser Roman, weil er zeitlose Themen behandelt: Adoleszenz, erste Liebe, Verrat. Und auch wenn du dich bereits dort diverser, recht blutiger Horror-Elemente bedienst, liegt im Kern immer das Gegenteil: das Streben nach Glück.

Seit "Carrie" sind nicht nur fünfzig Jahre vergangen, in diesem Zeitraum hast du insgesamt gut achtzig Bücher veröffentlicht. Du hast deinem Œuvre noch viele weitere Themen und Genres hinzugefügt. Auch wenn viele behaupten, du hättest dich in diesem Jahrtausend von deiner einstigen Qualität immer weiter entfernt, strahlen deine Romane, Novellen, Erzählungen und Kurzgeschichten weiterhin aus der Dunkelheit, um uns Licht zu spenden.

Wir, die Leser, können uns glücklich schätzen, dass du nie aufgehört hast, Geschichten zu erzählen. Allen Widrigkeiten zum Trotz dürfen wir Jahr für Jahr etwas Neues von dir entdecken. Aber vor allem empfehle ich allen Neugierigen ein Buch wie "Carrie", wenn sie mich fragen, womit sie anfangen sollen, dich zu lesen.

Nachdem sie "Carrie" gelesen haben, können sie anderes probieren, aber ich bin der Meinung, jeder sollte dort beginnen, wo auch für dich alles angefangen hat. Zumindest eine erstaunliche Karriere. Ich weiß natürlich, dass du im Prinzip schreibst, seit du denken kannst, nicht erst, seit du veröffentlichst. Jeder "Constant Reader" weiß das.

Lieber Stephen, ich danke dir von ganzem Herzen für "Carrie". Aber ich danke dir auch für so viele andere Werke, die ich als Lieblingswerke hätte vorstellen können (z.B. den vollständigen Dunklen Turm, "Es", "Christine", "Revival", die Bill Hodges-Trilogie, "Vier nach Mitternacht" usw.). Ich freue mich auf das Neue, was noch kommen mag, und ich freue mich auf Altes, das ich noch nicht gelesen habe (zurzeit kenne ich 58 Bücher von dir).

Herzlichen Glückwunsch, lieber Stephen, zum Jubiläum. Danke, dass es dich gibt.

*Der Sonntag gehört meinen Lieblingswerken aus den Bereichen Film, Literatur, Musik, Malerei und Games.*